Wie Revellio neue Horizonte öffnet
von Stefan Simon
Wer nicht zeitlebens gewissermaßen ein großes Kind bleibt, sondern ein ernsthafter, nüchterner, durchweg gesetzter und vernünftiger Mann wird, kann ein sehr nützlicher und tüchtiger Bürger dieser Welt sein; nur nimmermehr ein Genie.“ Ganz in Schopenhauers Sinne lässt sich der Künstler Paul Revellio, dem der Kunstverein Engen derzeit eine Ausstellung im Museum der Hegaustadt ausrichtet, beschreiben.
Denn ein großes Kind ist der zwischen seinem Atelier in Sachsenheim bei Ludwigsburg und seiner Lithografiewerkstatt in Villingen pendelnde Künstler gewissermaßen geblieben und an Genialität mangelt es dem Meisterschüler von Georg Baselitz auch nicht. Der Preisträger sowie Stipendiat verschiedenster Einrichtungen ist zwar trotz seines Erfolges ein Künstler ohne Allüren, aber an Selbstbewusstsein mangelt es ihm auch nicht.
Denn wie sollte man es auch sonst bewerten, dass in die Ausstellung, die unter dem Thema „Erste Werke – neue Werke“ zusammengestellt wurde, tatsächlich auch Kinderzeichnungen gezeigt werden. Blätter mit naiv anmutenden Szenen, wie sie jeder von uns einmal gestaltet hat, aber die in der Regel nicht mehr auffindbar sind. Nicht so bei Revellio: „das Frühwerk“ wurde in visionärer Absicht gehütet und stellt sich somit den Werken des professionell arbeitenden Künstlers. Formal haben sich die Werke gewandelt, der spontane, impulsive Einfall ist der routinierten, stilsicheren Komposition gewichen. Die Bildthemen jedoch scheinen sich innerhalb fünf Jahrzehnte kaum verändert zu haben. So grell und disproportioniert sie auch daherkommen, beziehen sie sich immer auf das reale Leben.
Landschaftsdetails, Stillleben und besonders der Mensch mit seinen elementaren Lebensgewohnheiten und zeitlosen Sinnzusammenhängen werden zum Bildgegenstand. Modelleisenbahnfreunde, Kaffee- und Weintrinker, Törtchen-, Eis- und Knödelesser, Narren und Kostümierte: Der Ausstellungsbesucher wird rasch mit Revellios grellbunter Welt banaler Begebenheiten vertraut gemacht. Und über all dem scheinbar doch so Harmlosen wachen regelmäßig die Glotzer in unterschiedlichsten Form- und Farbausprägungen. Mal rund, mal eckig, mal mit schmalem, mal mit aufgerissenem Mund, mal mit großer, mal mit kleiner Kolbennase, aber immer staunend, als sähen sie die Welt zum allerersten Mal, sind die reduzierten Portraits Revellios Markenzeichen seit seiner Studienzeit.
Vielleicht sind sie auch in ihrer Gesamtheit das Spiegelbild der Betrachter selbst oder das alter ego eines Künstlers, der über die alltäglichen großen, aber meistens kleinen Ereignisse staunt wie ein kleines Kind und diesen Eindrücken mit Farbe zu Leibe rückt. Man ahnt es, so einfach verhält es sich mit den heiter stimmenden Bildgeschichten wohl auch nicht. Die Motive erinnern an Vertrautes, und doch steht der Betrachter vor einer fremden sich mit seinen Sehgewohnheiten nicht deckenden Welt.
Die Bilder drängen sich in ihrer „Einfachheit“ und der Unauffälligkeit der Situationen dem Betrachter zwar auf, lassen ihn aber in seinen Vorstellungen alleine, weil sie immer wieder auf sich selbst verweisen, verharrend im Kosmos ihrer eigenen Wirklichkeit, nicht als bedeutungsschwerer Kommentar von Lebensrealität, sondern als gleichwertiger Teil von ihr.
Trotz der vordergründigen Lesbarkeit und den vermeintlichen Platitüden bleibt das Werk von Paul Revellio immer vielschichtig und rätselhaft zugleich. Es sind die Disproportionen, es ist das raffinierte Spiel, die Perspektive in der Fläche aufzulösen, es ist der Kontrast von Volumen vortäuschender Illusion zu an Kinderzeichnungen erinnernde Flächigkeit, es sind die klaren geometrischen Formen, die mal für sich stehen, mal durch heftigen Pinselduktus durchbrochen werden, und es ist besonders die willkürliche Farbgebung, die auf formaler Ebene die sinnliche Wirkung der Bilder hervorrufen. In dieser Malweise manifestiert sich die subtile Taktik Revellios. Er provoziert, aber nicht um der Provokation willen, sondern um das Interesse des Betrachters mit den gegensätzlichen Stilmitteln zu wecken. Diese Annäherung an das durchdachte ästhetische Bildkonzept, das Begreifen der Wahl der künstlerischen Mittel, wird nicht selten durch das Erfassen des Bildinhalts empfindlich gestört. Gerade in der Thematisierung des Alltäglichen, sei es etwa die Darstellung von Menschen beim Essen, Trinken oder beim Baden und Skifahren, zeigt sich doch Leben ohnehin viel deutlicher als im Pathos großer Ideen.
Revellios Werk eröffnet neue Horizonte und ermutigt dazu, Schwellen zu überwinden und neue Wege zu beschreiten. Wie das in der Praxis geht, macht der Künstler seit einigen Jahren auf der Villinger Fasnet vor. Mit seiner Trommlergruppe „Glotzergilde“, mit der er schon während seiner Studienzeit beim Karneval der Kulturen in Berlin auftrat, bringt er in das ernste Fasnachtstreiben die erfrischenden kunstvollen Farbtupfer.
Die Kunst wird in diesen Tagen auf ihre Alltagstauglichkeit überprüft: bei der Herstellung der riesigen Masken aus Pappmaché, die in der Ausstellung ebenfalls zu sehen sind, hat sich Revellio zwar von den schillernden Köpfen der Schweizer Guggenmusik inspirieren lassen, aber mit ein wenig Fantasie erkennt man darin auch die vollplastischen Versionen der flächigen Glotzer, die somit am wirklichen Leben fernab dem zuweilen elitären Kunstbetrieb teilnehmen.
© Stefan Simon, 22.2.2008