Franz Späth

Die Kunst ist so vielfältig wie das Leben selbst: trotz aller vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten und Abwägbarkeiten unberechenbar und immer für eine Überraschung gut. Rückblick: 1986 formierte sich in Bräunlingen eine Aktion gegen eine Umgehungsstraße. Organisator der Aktion „Künstler für die Umwelt“ war der in Bräunlingen geborene und nun in Paris lebende Künstler Franz Späth. 15 Jahre später, die Umgehungsstraße ist mittlerweile realisiert, wird an der Ortseinfahrt aus Richtung Hüfingen eine sechs Meter hohe Skulptur enthüllt. Die Arbeit mit dem Titel „Dionysos“ ist modern, abstrakt, groß, mit Fernwirkung. Aber das wirklich Überraschende an dem neuesten Dokument von Kunst im öffentlichen Raum im Landkreis ist die Tatsache, dass die gelungene Großskulptur aus Stahl ein Projekt des Künstlers Franz Späth ist. Das mutet vorerst konträr an, aber ist zugleich Sinnbild für die Entwicklung und das Kunstschaffen von Franz Späth. Wahrlich: das Leben ist bei Späth kein ruhiger langer Fluss, es ist ein unbändiges Wildwasser, dass sich immer wieder neue Wege sucht, wieder zusammenfließt, neue Ufer erreicht, eine Pause einlegt, um vielleicht doch einmal das große Meer zu erreichen. Aber bis dahin ist noch viel Zeit. Zeit, die der Aktionist Späth unermüdlich mit neuen Projekten ausfüllt. Dabei liest sich der erste Teil der Biografie des 1951 geborenen Künstlers recht geradlinig und gewöhnlich. Abitur am Donaueschinger Fürstenberggymnasium, mit einer Schreinerlehre wird die Zeit bis zum Beginn des Medizinstudiums überbrückt. Nach dem Studium ist Späth als Assistenzarzt in seiner Heimatstadt tätig. 1984 kommt die Zäsur, der angehende Arzt bricht mit den bürgerlichen Konventionen und wendet sich als „Spätberufener“ den Schönen Künsten zu. Wenn schon Ausstieg, dann gleich im passenden Umfeld: Seit 1984 nun lebt Franz Späth in der Kunstmetropole Paris, sein Atelier befindet sich im Vorort Creteil. Über einen Zeitraum von elf Jahren war er Assistent beim venezuelanischen Künstlers Carlos Cruz-Diez, einem bedeutenden Vertreter der farbkinetischen Kunst. Parallel dazu widmet sich Späth seinen eigenen Arbeiten. Die Schreinerausbildung, die Kurse in den verschiedensten künstlerischen Techniken, die Späth schon während seines Medizinstudiums belegte und in seiner Wahlheimat perfektionierte, die wichtigen Impulse bei Cruz-Diez, bilden das praktische Fundament. Die Formensprache, die Farbgebung seiner Arbeiten jedoch sind an keiner Akademie, in keinem anderen Atelier, so gut das Lehrer-Schüler-Verhältnis bei Cruz-Diez auch war, lernbar. Sie sind vielmehr Ausdruck einer tief verinnerlichten Lebenserfahrung, die, wie könnte es anders sein, von Gegensätzlichkeiten geprägt ist. Dualismen bestimmen von Beginn an das Werk des Künstlers, sie bringen somit eine feste, berechenbare Konstante in die wechselvolle Biografie. Die Farbpalette  ist äußerst reduziert auf Blau und Rot: Kalt und warm, weiblich und männlich, emotional und rational werden beispielsweise mit diesem Gegensatzpaar symbolisiert. In seiner Malerei muss Franz Späth anders als bei seinen weltweit realisierten Skulpturen voll und ganz auf die subtile Wirkung der gegensätzlichen Farben vertrauen. Trotz der Einschränkung, die zweidimensionalen Arbeiten besitzen eine überaus starke Ausstrahlung. Dabei geht der „Maler“ recht unorthodox ans Werk. Schicht für Schicht wird mit dem Schleifpapier zuvor aufgebrachte Farbe von den Holztafeln abgetragen bis sich das gewünschte Resultat einstellt. Der Künstler betätigt sich in seinen Schleifbildern als Spurensucher auf unbekanntem Terrain. Er legt frei, um im Verborgenen neues zu entdecken oder alte Wurzeln wieder zu finden. Es stellen sich schmerzliche wie erfreuliche Assoziationen ein, das liegt in der Natur der Sache. Die so angewandte Malerei liefert quasi als Nebenprodukt ein weiteres Gegensatzpaar. Die Schleifpapiere werden gleichsam als Negativformen zu amorphen vielseitig deutbaren Bildern. Bei den Skulpturen jedoch wird der Zufälligkeit keine Chance eingeräumt. Perfekt geplant werden die Stahlelemente in wochenlanger Arbeit geformt, zusammengeschweißt und anschließend im bekannten Kolorit lackiert. In Costa Rica, in Mexico, in Kanada, in Luxemburg, in Frankreich, in Portugal und in den Vereinigten Arabischen Emiraten stehen die blau-roten Gebilde. Bräunlingen ist der Premieren-Standort auf deutschem Boden. Die Großskulptur an der Umgehungsstraße ist mit ihren stattlichen sechs Metern Höhe zudem eine der größten Skulpturen, die Späth verwirklicht hat.  Wie alle Arbeiten von Franz Späth will auch diese Skulptur sinnlich aufzeigen, wie Gegensätze sich harmonisch miteinander verbinden können: Nicht in gegenseitiger Auflösung oder Vermischung sondern in friedlicher Symbiose. Kontraste wie eckig und rund, außen und innen wachsen so zu einem kreativen Miteinander. Die Skulptur ist statisch stabil, verändert aber auf Grund ihrer drehbaren Lagerung ihre Position. Die strengen geometrischen Formen orientieren sich somit nach der Natur, den Jahreszeiten und Himmelsrichtungen. Dass sich eine 6000 Einwohner zählende Gemeinde eine Arbeit in diesen aufwändigen Dimensionen leisten kann, verblüfft. Ohne das heutzutage übliche Sponsoring wäre das nicht möglich gewesen. Die finanzielle und sachlichen Leistungen verschiedenster Firmen und Institutionen der Region sind aber nur eine Seite der Medaille . Die andere Seite verblüfft noch mehr: das Werk Dionysos ist ein Geschenk des Künstlers an seine Heimatstadt, verwirklicht jedoch wurde sie getreu dem künstlerischen Plan in ehrenamtlicher Arbeit von Norbert Ahrens, Bernhard Hauser, Erich Winkelmann und Uli Zandona. Soviel kulturelles Engagement und Solidarität hat auch den weitgereisten Künstler und Kunstheoretiker Franz Späth, der derzeit als Doktorand an der Universität Paris in Kunst und Ästhetik beschäftigt ist, überzeugt. Trotz seiner vielen Verpflichtungen plant er schon 2002 ein internationales Bildhauersymposium mit Teilnehmern aus allen Erdteilen in Bräunlingen zu veranstalten. Die positiven Erfahrungen aus dem Dionysos-Projekt könnten aus der Vision eine dauerhafte kulturelle Einrichtung für die Bregstadt werden lassen. Späth will freilich nicht selbst als Teilnehmer auftreten. Eigentlich schade: Aber als Organisationstalent und Geldbeschaffer hat er auch so genügend zu tun. Als Repräsentant für Europa der Bewegung „Skulpturensymposium“ hat er schon in verschiedenen Ländern mitgewirkt und bringt seine besten Verbindungen in das Vorhaben mit ein. Verträgt eine Kleinstadt wie Bräunlingen überhaupt soviel zeitgenössische Kunst? Ein zuviel kann es eigentlich nie geben, vorausgesetzt das Werk wird überhaupt wahrgenommen. Dazu schreibt Franz Späth 1988 anlässlich der Realisation seiner Skulptur in Costica: „Wenn meine Arbeit – ohne jegliche Vorerklärung – eine innere Bewegung auslösen kann, sei es ein Staunen, eine Zuneigung oder auch eine Beunruhigung oder gar eine intensive Ablehnung, dann kann ich mit dem Werk zufrieden sein. Denn diese Emotionen können der Anfang eines Austausches, von Kommunikation sein“. Der Anfang ist mit dem Dionysos gemacht, auf weitere fruchtbare, künstlerische Kommunikationsauslöser darf man nun in Bräunlingen gespannt sein.