Zufall und Zweifel
Von Stefan Simon
„Zufall und Zweifel, meine zwei guten Freunde“: Seit sechs Jahrzehnten sind sie die treuen Weggefährten des in Königsfeld lebenden Künstlers Jochen Winckler. Doch nichts deutet zumindest aus Betrachtersicht auf diesen immer wiederkehrenden und für den Künstler offenbar äußerst wichtigen Tagebucheintrag und gelegentlichen Bildelement hin. Wo bitte soll in dem facettenreichen Figurenkabinett Raum für zufällige Entscheidungen oder gar für skeptische Infragestellung des Geschaffenen sein? So vielgestaltig der Winckler-Kosmos nun im Kunstraum auch erscheint, so kalkuliert und ausgetüftelt wirkt die ästhetische Form der einzelnen Exponate. Jedes noch so kleine Detail, jedes applizierte Stück, ob Knochen, Federn, Keramikscherben oder Edelstein, sogar der Verlauf der Rostpatina scheint exakt eingeplant zu sein. Ob lebensgroße Figuren, aufwändig arrangierte Kästen, Blätter aus Papier oder Metallgewebe, ob reich bebildert, gestisch untermalt oder nüchtern aufs Wesentliche reduziert: Die Arbeiten mit dem auf die Symbole Hand, Kopf, feminine Form reduzierten Vokabular wirken stets formvollendet, auch wenn der Künstler gelegentlich daran zweifeln mag. Tagebucheinträge haben immer etwas sehr Intimes. In den zahlreichen (Künstler)-Büchern offenbart Winckler seine Sehnsüchte, Ängste, Freuden und Lüste. Die Besucher können so etwas über die Vorzüge einer Beziehung, die Aversion des Künstler gegen das Reisen und dass der Mensch ein triebgesteuertes Wesen ist, erfahren. Letztlich pointierte Befindlichkeiten, deren bildhafte Pendants den Winckler-Fans bekannt sein dürften und nun in alten und neuen Arbeiten bestens zur Geltung kommen. Die handwerklichen Fähigkeiten mit dem von Winckler selbst beschriebenem Handwerkszeug, „den zwei bis drei Zangen, dem Lötkolben und den zwei Händen“, hergestellten Arbeiten sind überzeugend ersichtlich, das protokollierte Arbeitspensum enorm, die Zuverlässigkeit und die so gar nicht ins Künstlerklischee passende Selbstdisziplin beeindruckend: Urlaub ist für Winckler ein Fremdwort. Was das für eine Auswirkung auf sein Schaffen hat, lasst sich aus dem Tagebucheintrag vom 13.12.1987 erkennen: „Wenn ich mehr nach draußen ginge, reisen würde, würde ich noch mehr gute Sachen, Kunst sehen und vielleicht noch mehr an meinem Tun und Arbeiten (ver)-zweifeln.“ Stattdessen bleibt der Künstler in seinem Atelier und arbeitet äußerst konzentriert von früh morgens bis spät in die Nacht. Das Tagebuch bringt wie so oft den Beweis: „5 Uhr 59 ist eine gute Zeit den Tag zu beginnen – die Nacht zu beenden.“ Ein paar Jahrzehnte später ist die tägliche Arbeit immer noch Wincklers Lebenselixier, doch macht er sich zunehmend Gedanken darüber, „wie es im Himmel so zugeht oder ob`s in der Hölle wirklich so schön warm ist“. Auch wenn der eigene Körper wie „welkende Tulpen“ erscheint und die „Zärtlichkeit am seidenen Faden“ hängt, Bob Dylans Zitat „Death is not the end“ in einer Metallarbeit zu lesen ist, Jochen Winckler ist auch immer wieder dankbar. „Dankbar – `arbeiten` wie Kinder spielen, das wärs“ das ist sein ganz persönliches Resümee und das Motto der Ausstellung.
© Stefan Simon, 1.2.2023